Wir dokumentieren: Die Causa Kosswig, aus der Reihe: Zum Jubiläum… 100 Jahre Universität Hamburg und 111 Jahre Kolonialinstitut

01Wir setzen unsere Reihe zur kritischen Betrachtung der Geschichte der Universität Hamburg (UHH) und ihrer Darstellung im Rahmen des Universitätsjubiläums fort. Dazu wenden wir uns in diesem Text der Bedeutung Curt Kosswigs im NS und der späteren Interpretation seines Wirkens zu.


Anfang 2019 lautete der Titel einer Veranstaltung im Rahmen einer Unigeschichts-Ringvorle-sung an der Universität Hamburg  „Biologie   in Hamburg – anders als anderswo?“. Wer bei diesem Titel die Aufarbeitung der Geschichte eines Faches erwartete, wurde enttäuscht. Jedoch ist es in An- betracht der aktuellen Situation gar nicht verwunderlich, denn im Jahr der größten staatlichen Drittmittel-Wett- bewerbe unter dem Schlagwort „Exzellenz“ wird ganz besonders darauf geachtet, dass die Uni widerspruchsfrei glänzt. Trotzdem tauchen bei der Veranstaltung biografische Fragmente auf, die bei genauerer Betrachtung Fragen hinterlassen:

Fragen nach der wechselseitigen Beziehung von Wissenschaftsbetrieb und institutionalisierter Politik, Fragen nach dem Verhältnis von Wissenschaftsfreiheit und Verantwortung.

Eine dieser Biografien ist die des Biologen Curt Kosswig, in der Veranstaltung als charismatische Persönlichkeit beschrieben, die vor den Anfeindungen der Nazis 1937 von Braunschweig nach Istanbul floh. Diese selektive Auswahl von Informationen (Flucht und Charisma) ist bereits geprägt von einem Blick auf der Universitätsgeschichte, der in dieser Art häufig ist und eben doch verkennt, dass Wissenschaftsgeschichte auch Gesellschaftsgeschichte ist, dass Wissen auch Macht bedeutet und dass mit der Loyalität gegenüber der eigenen Universität in der Gegenwart genauso wie in der Geschichte gebrochen werden muss, um kritische Wissenschaft zu ermöglichen.

Nun also zu einer ausführlichen Betrachtung Curt Kosswigs, der viel mehr als ein Geflüchteter aus dem faschistischen Deutschland war:

Kosswig, 1903 geboren, ist bereits als Schüler in rechten Organisationen aktiv. Bis 1919 ist er Teil des Berliner Landesvorstands des Deutschnationalen Jugendbundes, später Mitglied der Reichsverbandsvorstands. 1920 nimmt er am Kapp-Putsch gegen die aus der Novemberrevolution entstandene Weimarer Republik teil. Ab  1922 studiert er in Berlin Philosophie und Naturwissenschaften, ist dort Mitglied einer schlagenden Studentenverbindung und promoviert 1927 „Über die Vererbung und Bildung von Pigment bei Kaninchenrassen“ bei Erwin Baur. Baur war schon früh im 20. Jhd. mit der wissenschaftlichen Legitimation von rassistischer Ideologie und Herrschaft beschäftigt: Bereits 1917 war er Vorsitzender der Berliner Gesellschaft für Rassenhygiene, später begrüßte er den deutschen Faschismus. Für Kosswig selbst ergibt sich 1932 die Möglichkeit einer Zoologie- Professur in Braunschweig. Um sich gegen seinen Kon- kurrenten   für diese Stelle durchzusetzen, nutzt er die politische Situation in Braunschweig: Die lokale Regierung, die schon seit 1931 eine NSDAP-Koalition ist, lädt er zur Überzeugung von seiner Person zu einem Vortrag über die biologischen Grundlagen der Gesellschaftslehre ein. Neben seiner Professur übernimmt Kosswig 1933 ebenfalls die Direktion des Braunschweiger Naturkundemuseum, wobei er zugleich zur Tat schreitet und die Ausstellung eines Eugenikers, der das Rassenkonzept anzweifelte, schloss. 1933 wird er darüber hinaus Mitglied der SS, für die er bald im NS-Lehrerbund Propaganda-Schulungen zu Rassenbiologie und zu den biologischen Grundlagen der Staatführungen durchführt, zu denen er auch publiziert. In diesem Sinne schreibt er u. a.:

„Den endgültigen Erfolg der Maßnahmen, die heute zur Pflege unseres wertvollen Erbgutes und zu seiner Vermehrung getroffen werden, wird keine unserer Generationen noch miterleben. Eine biologisch begründete Staatsführung darf und muss mit Jahrhunderten rechnen. Dem Einzelnen unserer Tage muss das stolze Bewusstsein genügen, an einer Zeit- wende gelebt und an ihrer Heraufführung mitgearbeitet zu haben.“

Gleichzeitig lehnt Kosswig eine Mitgliedschaft in der NSDAP ab, er sieht keine wissenschaftlichen Grundlagen für den Antisemitismus und die Blut- und Boden-Ideologie. Diese Ablehnung von zentralen Elementen der NS-Ideologie und sein Einsatz für seine jüdischen Kollegen Leopold von Ubisch führten 1937 auch zum Ende seiner Karriere im faschistischen Deutschland.

Kosswig wird an die Istanbuler Universität berufen und kann Deutschland Ende 1937 verlassen. In Istanbul arbeitet er an systematisch-zoologischen Fragestellungen, unternimmt viele Exkursionen  und beschreibt undokumentierte Tierarten. Er ist außerdem Teil eines Bundes emigrierter deutscher Wissenschaftler in der Türkei, die aus verschiedenen Weltanschauungen heraus den Sturz Hitlers fordern. Nach dem Ende des deutschen Faschismus wird Kosswig 1955 Professor der Zoologie an der Universität Hamburg. Bei seiner Bewerbung verschweigt er alle Publikationen, die er zu Rassenbiologie und zur biologischen Staatsführung verfasst hatte, sowie auch seine Mitgliedschaft in der SS. Ein Antrag auf Entschädigung für seine Verfolgung im NS wird auf Grund seiner Beteiligung am NS- Lehrerbund abgelehnt. Er bleibt bis zu seiner Emeritierung 1969 an der Universität Hamburg. Die Demokratisierung der deutschen Universitäten nach 1968 lehnt er ab, wie es sein Schüler Dierk Franck darstellt: „Er verstand sich als aufgeklärter Autokrat, der allein an der Spitze seines Instituts stand und dafür selbstverständlich auch die volle Verantwortung zu tragen hatte. Es war für ihn unvorstellbar, dass er sich in einem Institutsrat einer Wahl durch Kollegen, die seine Schüler, bzw. bisherigen Mitarbeiter waren, stellen sollte. So war er froh, dass er einer derartigen Situation durch deine Emeritierung entgehen konnte.“ Nach seinem Tod 1982 erfolgt ein Staatsbegräbnis in der Türkei, wo er als eine der bedeutendsten Personen der türkischen Biologie aufgefasst wird. Das damalige Präsidium der Universität Hamburg nimmt an der Feier teil und ehrt seine Arbeit – ohne dabei noch ein Wort zu seiner Bedeutung für den Aufstieg des Faschismus in Deutschland zu verlieren. In Hamburg wird ein Hörsaal der Biologie nach ihm benannt und mit einer Bronze-Büste Kosswigs bestückt.

2012 veröffentlicht der Naturwissenschaftliche Verein in Hamburg eine Biographie Kosswigs, die von einem seiner Schüler Dierk Franck geschrieben wurde und ihn eher als patriotischen Wissenschaft- ler hofiert. Dagegen kommt Daniel Droste (Universität Münster) zu dem Schluss: „Es fällt […] schwer, Kosswig als Nationalsozialisten zu bezeichnen, denn ein Nationalsozialismus ohne Blut und Boden-Gedanken und ohne Antisemitismus ist nur schwer vorstellbar. Dennoch darf die Legitimationswirkung seiner Beiträge für den wissenschaftlichen Rassismus, vor allem aufgrund ihres Einflusses auf die Schulen, nicht unterschätzt werden.“

Vor diesem Hintergrund und der erneuten ahistorischen Darstellung Kosswigs in der Ringvorlesung an der Universität Hamburg, treten wir nun für die Umbenennung des Hörsaals ein. , Die aktuelle Namensgebung steht im Kontrast zu der in Hamburg gängigen Praxis, Hörsäle nach AntifaschistInnen zu benennen. Zudem wird deutlich, welche Bedeutung die Aufarbeitung der Wissenschaftsgeschichte weiterhin hat. Gegen die beschönigende Universitätsgeschichtsschreibung, welche zwanghaft versucht „science“ und „context“ zu trennen, wollen wir diese dichotome Trennung zugunsten einer Betrachtung von „science in context“ aufheben, wie der Historiker Marian Füssel es nennt. Modellierte Zuschreibungen müssen folglich immer wieder hinterfragt werden. Und so müssen auch Kosswigs (in einem vernetzten Gefüge stehende) Einflüsse einer auf gegenwärtige Prozesse bezogenen Betrachtung unterzogen werden. Dadurch wird Aufmerksamkeit dafür gewonnen, welche Verantwortung die Wissenschaft früher und heute für eine solidarische – oder eben auch für eine faschistische Entwicklung der Gesellschaft haben kann.

Gekkos


Wesentliche Informationen wurden übernommen aus: Daniel Droste, Vom SS-Schulungsleiter zum Emigranten. Die Karriere des Zoologen Curt Kosswig und die Rolle der Biologie als Stütze des NS- Staates, in: Annals of the History and Philosophy of Biology 15/2010, Göttingen 2012, S. 339 – 370. Die Biografie: Dierk Franck: Curt Kosswig – Ein Forscherleben zwischen Bosporus und Elbe, Abhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins in Hamburg, Band 44, Hamburg 2012. Aktuelles zur Auseinandersetzung an der UHH: https://kriwigeschi.blogs.uni-hamburg.de/

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